INTERVIEW MINDBREED


Frankreichs Underground Wave Band Candidate waren in den 80er Jahren aktiv. Aus alten Aufnahmen hat Robin Pleil von Artridge die Band wieder ins Leben zurückgerufen. Cécile, die Sängern, war so freundlich und
geduldig uns ein Interview zur CD "Vote Don't Vote" zu geben.


Eniz: Hallo und danke für dieses Interview. Als Erstes würde ich Dich gerne bitten, dass du von deiner Warte aus für die Leute, die Euch nicht kennen, beschreibst, was Ihr mit "Candidate“ repräsentiert?

Cécile: Wir waren zwischen 1983 und 1991 aktiv. Und in dieser Zeit spielten wir mit Sequencern und Drum-Machines, aber ohne Computer. Niemand in der Zeit sprach von Techno oder Electro. Wir haben es von uns selbst aus "techno-electric“ genannt. Jetzt würden wir eher von “electronic-rock” sprechen oder, womit manche Leute es mit auch vergleichen, von EBM. Irgendwo zwischen Electro und Rock, würde ich sagen. Mit Underground-Pop Anteilen.

Eniz: Speziell auf der zweiten Hälfte der CD hört man reichlich Gitarren Elemente raus…

Cécile: Ja, Bidou ist der Gitarrist und ich bin die Sängerin und anstelle eines dritten Bandmitgliedes hatten wir die Sequencer und Drum-Machines. Natürlich ist die Gitarre stark präsent. Der erste Teil der CD ist der neueste, das heißt Du hörst weniger Gitarren. Je weiter Du in der CD vorwärstsgehst, desto mehr gehst Du in der Zeit zurück und die Gitarre ist mehr im Vordergrund. Der Anfang ist zwischen 1989 und 1990 und das Ende um 1987/'88. Außer dem
letzten Stück "Shade Of Red“. Aber der Rest ist alles ab 1990 und bewegt sich langsam auf 1987 zu. Das ist der Grund warum Du dieses "Back to guitar“ hast.

Eniz: Die CD wurde von alten Tapes aus dieser Zeit gemacht und es gab da eine Menge zu tun…

Cécile: Bidou und ich hatten alles bereits auf D.A.T. (digital audio tape) 1990 überspielt, aber wir haben damit nichts gemacht. Manchmal spielte ich Candidate Freunden vor und dann letztendlich auch Robin Pleil von Artridge und der war begeistert. Also remasterte er die Tapes. Es war eine sehr detaillierte Arbeit und am Ende hatte er neun verschiedene Versionen der CD. Eines klang wie auf Vinyl, aber wir sagten Nein dazu, weil wir den alten Sound beibehalten wollten um die Atmosphäre von damals einzufangen. Wir haben daher etwas Bass beigemischt und eine andere Version ausgewählt. Wir mussten von einem 8 Track ein 24 Track Stück machen.

Eniz: Als ich den Retro-Sound gehört hatte, war ich auch sehr begeistert…

Cécile: Danke schön. Oh, und vielen Dank für deine Rezension. Ich habe es ins Französische übersetzt und nun ist es auf der französischen Website www.french-new-wave.com, die sich mit dem French New Wave aus den 80ern
beschäftigt.

Eniz: Danke dafür. Wann habt Ihr aufgehört mit Candidate Musik zu machen?

Cécile: 1991

Eniz: Danach habt Ihr Soundtracks für Musicals komponiert…

Cécile: Candidate hat bereits zwischen 1987 und 1991 Soundtracks für Film, Radio und Theater gemacht. Dann zog ich nach Berlin und Bidou blieb in Nancy und hatte seine eigene Projekte, "Rythmic Republic“ und "Touch“.
Beidee wurden durch den Detroiter Techno inspiriert.
Ich selber hatte ein experimentales Projekt namens "November“. Das war so Dance-Music aber nur mit meinem Gesang und dem avant-garde Drummer Peter Hollinger. Ohne Computer! Ich habe in den frühen 90ern auch in einer Hip Hop Band namens "Reality Brothers“ gesungen.

Dann hatte ich mein eigenes Projekt "Miss Cee and Sir George", bevor ich 2001 mit dem Musikmachen aufhörte. Ich war immer mit Kunst beschäftigt, was mehr und mehr wichtiger wurde, insbesondere Malerei und Ausstellungen, und seit zwei Jahre toure ich mit einem französischen Theater, in dem ich ein virtuelles Set mit Hilfe von zwei Overhead Projektoren kreiere. Ich konnte nicht sowohl mit der Musik als auch mit der Kunst gleichzeitig weitermachen und so musste ich mich entscheiden. Es war eine grausame Entscheidung, aber ich konnte mit Kunst besser überleben, als mit Musik.

Eniz: Du hast also mit Musik nicht mehr zu tun?

Cécile: Ich bin immer noch mit Musikern unterwegs, ich bleibe eine Musikliebhaberin, aber jetzt mehr als Konsumentin.

Eniz: Du arbeitest also mehr im Hintergrund?

Cécile: Genau. Ich bin nicht mehr im Rampenlicht der Musik.

Eniz: Wenn du dir die musikalische Entwicklung von der Vergangenheit bis heute anschaust was für Unterschiede fallen eir auf? Du warst in den 80ern sehr aktiv und bist mit Bands wie Nitzer Ebb und Front 242 groß geworden…

Cécile: Der Sound ist sehr anders, die Technologie hat einen riesen Fortschritt gemacht. Heutzutage kann jeder ein Homestudio haben, das war damals unmöglich. Anfang der 80er war jeder am experimentieren, es war aber auch sehr teuer. Und so musste man Tricks wie Tape Dubbing und so einsetzten.
Die Technologie macht den Zugang zur Musik einfacher, und so komponieren mehr Leute; daher würde ich so weit gehen und sagen, dass es fast mehr Musikproduzenten gibt, als Hörer. Es ist eine Art von Sättigung, weil die
Qualität nicht immer folgt. Früher, als du wegen der Kosten nur alle 2 Jahre eine Platte veröffentlichen konntest, hast Du entsprechend auch länger an der Platte gearbeitet.

Ok, heute gibt es sehr viele Leute aus den 80ern, die die alte Musik trotzdem benutzen wegen dem Retro-Sound. Nach den 80ern, denke ich, wenn Du Geld verdienen wolltest war die Musik gut. Und heute entzünden junge
Band den Sound der 80er neu. Das ist lustig. Ich bin überrascht, dass die junge Generation der Musiker so von dem
Sound der 80er fasziniert sind und davon, wie sie sie interpretieren. Für mich waren die 80er, außer der Underground Szene (Post Punk / New Wave / Dark Wave / EBM) schrecklich. Denk nur an Modern Talking...
Aber aufgrund dieses Revivals erinnere ich mich wieder an einige großartigen Bands wie Suicide, Tuxedomoon, Nitzer Ebb die mein Leben gerettet haben!

Eniz: Was ist eure Intention?

Cécile: Nach dem Remastering von den alten Tapes kann ich sagen, dass die Texte immer noch aktuell sind. All die Themen über Beziehungen und dem Sozialverhalten. Und meine Leute können sich in den Texten wiederfinden.
Die meisten Texte handeln von Gefühlen in einer Beziehung oder in der Gesellschaft und natürlich über Kompromisslosigkeit, mit denen wir umgehen müssen.

Eniz: Wieso habt ihr nie Texte in französisch verfasst?

Cécile: Ich bin mit englischer Musik aufgewachsen. Ich habe als Kind dieTexte nie verstanden und es war eher wie ein Instrument. Später, als ich die Sprache verstanden habe, bemerkte ich die Flexibilität, die du im Französischen nicht hast. Englisch half mir die Distanz zu den Wörtern aufrechtzuerhalten und mich auf die Expression der Stimme zu konzentrieren, als wäre es ein Musikinstrument.
Mit dem französischen Chanson kamen erst die Texte und die Musik blieb oft auf der Strecke. Mit Candidate haben wir erst die Musik komponiert. Ich improvisierte so lange bis ich die beste Linie fand, dann erst schrieben wir die Texte.

Eine neue französische Sängerin namens Camille ist da sehr exzellent und sie verdreht die französischen Wörter. Das ist das erste Mal, dass ich so was in der Art gesehen habe. Die Texte brechen nicht die Musik. Als ich sie hörte dachte ich: "Wow, sie ist wirklich gut“, das ist nicht einfach das so zu machen. Auf der anderen Seite klingen französische Texte in Rockmusik verrückt für mich. Manche Leute können das, ich nicht.

Eniz: Franzosen hören also mehr Edith Piaf…

Cécile: Nun, nicht alle. Junge Leute hören Rock und neuerer Musik. Aber die meisten sind doch an Akkordeon und altem französischen Folk Zeug gehaftet. Frankreich ist definitiv nicht das Land der Rock Musik!

Eniz: Der Pressetext sagt, dass Candidate das best behütete Underground- Bandgeheimnis ist. Was macht Candidate so Underground?

Cécile: (lacht) Warum? Vielleicht weil wir eine Menge Dinge gemacht haben, was nur ein paar Leute hörten. Das Lustige ist, dass wir, als wir auf Tour als Support Band waren, in manchen Locations bekannter waren als der Hauptact. In manchen Städten hatten wir eine große Fangemeinde, in anderen kannte uns niemand. Das war nicht ich, die das schrieb, es war die PR. Ich kann mir vorstellen, dass er das schrieb, weil es so lange gedauert hatte, bis wir "Vote Don’t Vote“ veröffentlicht hatten. Auf der genannten Website, von der ich vorhin sprach, konnten sich die Leute daran erinnern. Du kannst vor 10 Jahre aufgehört haben Musik zu machen und sie erinnern sich trotzdem an Dich. Das war ein schönes Gefühl, als die Leute mich kontaktierten.

Eniz: Das wars dann auch schon. Vielen Dank für das Interview. Wie lange bleibst Du noch in Berlin?

Cécile: In ein paar Tagen reise ich wieder ab. Ich komme gerade von der Theatertour und ich werde dann wieder zurückgehen.


Eniz Degirmenci - Mindbreed 10/2005

(Mindbreed Rezension hier)


 

| home | press |